Das Informel: Freiheit für die Malerei!

Das Informel: Freiheit für die Malerei!

22.04.22
Kunsthaus ARTES
Kunstgeschichte Künstler

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts bahnten sich in Europa und in den USA revolutionäre Veränderungen in der Malerei an: Kunstbewegungen wie das Informel oder der Abstrakte Expressionismus vereinte die Grundidee, dass die Malerei vom Korsett jeglicher formalen Bedingungen zu befreien sei. Sie sollte weder an Regeln und Stile gebunden sein noch sollte sie Botschaften, Bildgegenstände oder vorgegebene Strukturen und Formen aufweisen.

In der Praxis bedeutete dies eine abstrakte Malerei in ihrer reinsten und konsequentesten Form. Mit seinem Mut zur radikalen Befreiung der Malerei zählt das Informel zu einer der letzten grundlegenden Innovationen in der Kunst. Die Pioniere des Informel sorgten mit ihrem wilden Malstil und etwas chaotisch anmutenden Werken anfänglich bei vielen Zeitgenossen noch für Kopfschütteln, doch heutzutage wird ihre Leistung vollumfänglich gewürdigt und ihre Kunstwerke sind sowohl in renommierten Museen und Sammlungen vertreten als auch auf Auktionen heiß begehrt.

Die informelle Malerei bzw. die mit ihr verwandten Stile machten zahlreiche Künstler weltberühmt, zum Beispiel Jackson Pollock, K.O. Götz, Hann Trier, Mark Rothko oder Jean Dubuffet. Die Impulse des Informel wirkten noch über Jahrzehnte nach und inspirieren auch heute noch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler.

Original-Lithografie, 1995. Rückseitig nummeriert und handsigniert.
Kar Otto Götz gehört in Deutschland zu den bekanntesten Vertretern des Informel.

 

 

Informelle Malerei – eine radikale Abkehr von der traditionellen Bildkomposition

Die Pioniere des Informel hatten nach neuen und unbelasteten Formen des künstlerischen Ausdrucks in der Malerei gesucht. Dabei erschien ihnen die traditionelle Vorgehensweise, nach der die Künstler zunächst eine Idee von einem Motiv entwickelten und diese anschließend nach bestimmten technischen Vorgaben sowie stilistischen Kompositionsprinzipien umsetzten, als überholt und zu restriktiv.

Deshalb stellten die Künstler des Informel kurzerhand den gesamten, seit Jahrhunderten etablierten Malprozess infrage – von den Bildinhalten bis hin zu den Materialien. Sie postulierten einen befreiten Malakt, der unmittelbar und authentisch die Eingebung und Emotionen des Künstlers zum Ausdruck bringen sollte. K.O. Götz, einer der wichtigsten deutschen Vertreter des Informel, beschrieb seine Arbeit als "die Auflösung des klassischen Formprinzips mit malerisch und materialmäßig vielen Möglichkeiten".

Durch den Wegfall aller gestalterischer Regeln und realen Motive rückte das Malen an sich in den Mittelpunkt und wurde zum Selbstzweck. Die Künstler setzten im Malprozess weder vorher konzipierte Motive noch Entwürfe oder Skizzen um und hielten sich auch nicht an althergebrachte Formen, Muster oder Strukturen. Vielmehr ließen sie ihre Werke in spontanen, impulsiven und improvisierten Arbeitsgängen entstehen. Mit jedem Malprozess startete ein neues, ungeplantes Experiment, bei dem auch der Zufall immer eine große Rolle spielte.

Folglich enthielten die Bilder auch meist nichts, was mit bekannten Gegenständen oder Formen in Verbindung zu bringen gewesen wäre. Da sich damit auch jede Suche nach bekannten Bildobjekten erübrigte, eröffnete sich für die Betrachtenden ein weiter Raum für freie Assoziationen und Interpretationen.

 

Die Farbe und der Malprozess als Inhalte der Kunst

Die Idee von einer Malerei, die sich selbst zum Thema hat, verlangte auch nach neuen Vorgehensweisen und Techniken. Alle Materialien, die bisher nur Mittel zum Zweck waren, besaßen nun einen Eigenwert. Dies betraf in erster Linie die Farben, denen eine deutlich größere Bedeutung zukam. Sie bestimmten nun den Bildeindruck allein durch ihre Strukturen, ihre Leuchtkraft und die Kontraste untereinander. Aber auch die Bandbreite der Materialien erweiterte sich. Die Künstler mischten ihre Öl- oder Acrylfarben mit anderen Substanzen, um die Viskosität zu beeinflussen. K.O. Götz beispielsweise verrührte seine Farben mit Kleister und brachte damit pastose, fast skulpturale Strukturen auf die Leinwand.

Doch nicht nur die Arbeitsmaterialien hatten sich verändert, sondern auch der Schaffensprozess selbst. Der Akt des Malens glich nun eher einer Performance, bei der die Künstler im ständigen Wechselspiel mit den Materialien und dem bisher Geschaffenen standen. Oftmals mit vollem Körpereinsatz und in großen Gesten schleuderten, gossen, verwischten oder tröpfelten sie ihre Malsubstanzen auf die Leinwand. Mit diesem nur bedingt kontrollierten Farbauftrag ließen die Maler des Informel eine Bildsprache voller Dynamik, Dramatik und Ausdruckskraft entstehen.

Öl und Pastellkreide auf Leinwand, 2018. Rückseitig signiert.
Die junge, in Berlin geborene Malerin Winnie Seifert drückt sich in einer Bildsprache aus, die der des Informel nahekommt. 

 

 

Informel, Abstrakter Expressionismus und Co: Verschiedene Namen – eine gemeinsame Vision

Der Trend zu einer völligen Neudefinition der Malerei hatte sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs in mehreren Ländern fast gleichzeitig, aber unter verschiedenen Bezeichnungen entwickelt. Die freie, gegenstandslose und impulsive Malerei fand sich in zahlreichen künstlerischen Strömungen wieder, zum Beispiel im Abstrakten Expressionismus, im Tachismus, in der Lyrischen Abstraktion, im Action Painting, in der Farbfeldmalerei oder der Art brut. In Europa hatte sich bald die Bezeichnung Informel durchgesetzt.

Diese hatte ihren Ursprung im Jahr 1951 in Paris. Der französische Kunstkritiker Michel Tapié (1909 – 1987), ein wichtiger Förderer der Avantgarde in Frankreich, hatte eine große Ausstellung mit zahlreichen zeitgenössischen Künstlern organisiert, die heute als Geburtsstunde des Informel gilt. Mit dem Titel der Schau "Signifiants de l’Informel" hatte Tapié zugleich der neuen Kunstrichtung einen Namen gegeben.

Auch in Deutschland gründeten sich im Anschluss zahlreiche Künstlergruppen wie der "Junge Westen" in Recklinghausen, "ZEN 49" in München, die "Gruppe 53" in Düsseldorf oder die "Gruppe 11" in Stuttgart, in denen sich die Künstler organisierten und die informelle Malerei zu einer der wichtigsten Ausdrucksformen des 20. Jahrhunderts werden ließen.

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