Der Bildermacher

Der Bildermacher

15.03.22
Kunsthaus ARTES
Interviews Kunstgeschichte Künstler

Im Gespräch mit Hubertus Butin über das grafische Werk des wichtigsten Künstlers der Gegenwart: Gerhard Richter

Was sehen Sie, wenn Sie die Augen schließen und an die Kunst von Gerhard Richter denken?

Da ich das Glück und die Freude hatte, in den 1990er-Jahren als kunsthistorischer Assistent im Kölner Atelier des Künstlers arbeiten zu dürfen, sehe ich zuerst seine Person vor mir, die ich immer als sehr freundlich, höflich und zurückhaltend, aber auch als humorvoll und großzügig erlebt habe. Seine Kunst ist so dermaßen komplex und vielfältig, dass ich kein bestimmtes, sondern sehr viele unterschiedliche Werke von Gerhard Richter vor Augen habe.

Was sehen Sie sich an, wenn Sie genau hinschauen und als einer der größten Kenner des Werks von Gerhard Richter ein Bild auf seine Echtheit prüfen?

Bei der Klärung der Echtheitsfrage und somit der Frage nach der Urheberschaft des zu untersuchenden Kunstwerks bedient man sich normalerweise drei verschiedener Erkenntnisquellen: erstens die vergleichende Stilkritik innerhalb des künstlerischen Gesamtwerks. Man schaut also, ob die Arbeit im Falle von Richter seinem Stil und seinen Motiven entspricht, was natürlich nur möglich ist, wenn man schon sehr viele Originale gesehen und untersucht hat. Ist das vorgelegte Bild außerdem in einem Werkverzeichnis aufgeführt, wird es mit der Abbildung und allen technischen Angaben genau verglichen. Zweitens spielt die Provenienz Recherche, soweit sie durchführbar ist, eine mitunter wichtige Rolle. Denn die Beantwortung der Frage nach der Herkunft und somit die Klärung der früheren Besitzverhältnisse bis zum heutigen Eigentümer kann ebenfalls ein Hinweis für echt oder falsch sein, obwohl immer bedacht werden muss, dass sich auch historische Dokumente fälschen lassen, um ein unechtes Kunstwerk als Original erscheinen zu lassen. Drittens erfolgt eine materielle Gegenstandssicherung, also eine Bestimmung der verwendeten Werkstoffe und eingesetzten Werktechniken. Dies beginnt schon mit einfachsten Mitteln der visuellen Begutachtung, indem man etwa eine Druckgrafik mit einer Lupe betrachtet. Dem Künstler nicht entsprechende Materialien und Herstellungstechniken können eine spätere Kopie oder gar eine Fälschung entlarven. Sollten aufwendigere Untersuchungen notwendig erscheinen, die das einfache kunsthistorische Instrumentarium übersteigen, muss ein kunsttechnologisches Labor hinzugezogen werden, was jedoch meist eher für Arbeiten der Klassischen Moderne oder für Altmeisterwerke gilt.

Hubertus Butin studierte Kunstgeschichte in Bonn und Zürich. In den 1990er-Jahren arbeitete er als Kunsthistoriker im Atelier Gerhard Richters in Köln. Seit 1991 hat er zahlreiche Aufsätze und Bücher zur zeitgenössischen Kunst und Kunsttheorie publiziert. Unter anderem gab er 2014 das Werkverzeichnis der Editionen Gerhard Richters heraus sowie das „Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst“. 2020 erschien im Suhrkamp Verlag sein kunstsoziologisches Buch über Kunstfälschungen. Als unabhängiger Gutachter ist er weltweit für Sammler, Kunsthändler, Auktionshäuser und Ermittlungsbehörden tätig. Als Gastkurator hat er 2021 für das Kunstforum Wien und das Kunsthaus Zürich gearbeitet. Hubertus Butin lebt in Berlin. 

 

 

Das druckgrafische Werk von Gerhard Richter ist überschaubar, wenn man es mit jenem zahlenmäßig umfangreichen von Pablo Picasso vergleicht. Zugleich wächst die Nachfrage nach grafischen Arbeiten von Richter weltweit unaufhaltsam. Was bedeutet das für die Fälschungen und was ist Ihnen schon vorgelegt worden?

Die Editionen, wozu auch die Druckgrafiken gehören, werden häufig gefälscht, da sie bei Sammlern und Museen sehr begehrt sind. In Kunsthandlungen und Auktionshäusern, bei Privatsammlern und in Landeskriminalämtern sowie im Internet begegnen mir regelmäßig betrügerische Werke, die entweder Identfälschungen sind, die also nach einem bestehenden Original entstanden sind, oder die als Stilfälschungen auftreten, die demnach komplett erfunden sind und nur den Stil Richters nachahmen. Erst vorletzte Woche wurde mir ein Exemplar des äußerst aufwendigen Siebdrucks „Ice 2“ von 2003 vorgelegt. Auf den ersten Blick sah das Blatt mit seinen 42 Farben gut aus, doch mit einer Lupe konnte ich es als sehr feinen Tintenstrahldruck entlarven. Und nicht nur das abstrakte Motiv, sondern sogar die Signatur, Datierung und Nummerierung waren mitgedruckt, also noch nicht mal in Bleistift ausgeführt, womit ebenfalls sofort klar war, dass es sich um eine Fälschung handelt. Der Sammler hatte die Arbeit bei einem Internetauktionshaus in den USA erworben, ohne sie vorher zu prüfen. Die hohe Geldsumme, die der Käufer dafür ausgegeben hat, wird er vermutlich nie wiedersehen, da die Firma mittlerweile Pleite gemacht hat.

Gerhard Richter ist im Februar 90 Jahre alt geworden. Seit über 30 Jahren begleiten Sie seine Arbeit, zunächst als kunsthistorischer Mitarbeiter im Atelier des Künstlers, dann als Autor von Büchern und Katalogen und mitunter auch als Kurator von Ausstellungen. Wenn wir eben schon Picasso zum Vergleich nannten – wie wird man auf die Kunst von Gerhard Richter blicken, welcher kunsthistorische Stellenwert wird ihr zugewiesen werden?

Das ist natürlich eine schwierige Frage, da ich nicht in die Zukunft blicken kann. Doch ich bin mir relativ sicher, dass Gerhard Richter auch die nächsten Jahrzehnte international als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Künstler gelten wird. Denn es gibt nur wenige andere zeitgenössische Künstler, denen weltweit so viele Ausstellungen gewidmet worden sind, die man in so vielen Museumssammlungen findet, die im Kunsthandel und bei Sammlern so sehr begehrt sind und über die Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen so viele wissenschaftliche Bücher geschrieben haben. Richter ist zum Beispiel der einzige deutsche Künstler, dessen Werke wirklich in allen nordamerikanischen Museen für zeitgenössische Kunst anzutreffen sind, was schon bemerkenswert ist.

Was beschäftigt Gerhard Richter eigentlich, wie lässt sich das Kernthema seines sechs Jahrzehnte umfassenden künstlerischen Schaffens beschreiben?

Im Jahr 2012 äußerte Richter: „Manchmal denke ich, ich sollte mich nicht Maler nennen, sondern Bildermacher. Ich bin mehr an Bildern interessiert als an Malerei.“ Richters Kunst besteht tatsächlich aus einer so grundlegenden Befragung des Bildnerischen, wie man das so bei kaum einem anderen Künstler findet. Deshalb arbeitet er nicht nur in einem Stil oder nur mit einer Bildgattung, sondern er untersucht alle Bildformen, die man sich vorstellen kann: figurativ, abstrakt, gerastert, monochrom oder vielfarbig und so weiter. Dieses analytische Ausloten der Möglichkeiten einer heutigen Bildproduktion macht ihn für uns Kunsthistoriker zu einem so faszinierenden Künstler, über den man sehr vielfältig schreiben kann. Doch gleichzeitig spricht er auch jene Menschen an, die vielleicht gar keine oder kaum Ahnung von Kunstgeschichte und Kunsttheorie haben. Denn seine Bilder sind eben nicht nur sehr analytisch und konzeptuell, sondern auch extrem vielfältig, sehr sinnlich, mitunter sogar verführerisch. Das heißt, dass er ein sehr breites Publikum und eben nicht nur die Spezialisten und Kenner erreicht, was sicherlich zu seinem großen Erfolg beiträgt.

In diesem Jahr zeigt die Kunstbibliothek in der Neuen Nationalgalerie in Berlin erstmals die Künstlerbücher Gerhard Richters in einer großen Überblicksausstellung. Was sind Künstlerbücher? Was bedeuten sie für Gerhard Richter?

Künstlerbücher sind Publikationen, die der Künstler oder die Künstlerin selbst konzipiert und gestaltet hat – im Gegensatz zu Büchern, die von Kunsthistorikern und Museumskuratoren gemacht werden. Sie sind somit eigenständige Kunstwerke, die auch in meinem Richter-Werkverzeichnis der Editionen zu finden sind. Seit 1966 sind insgesamt 22 Künstlerbücher entstanden, die alle sehr unterschiedlich sind. Manche enthalten neben Texten zahlreiche Bildmotive, die nur hier zu finden sind; manchen wurde eine originale Zeichnung beigefügt, andere sind mit Lack- oder Ölfarben übermalt, was sie besonders begehrt macht, da sie dadurch einen unikatähnlichen Charakter erhalten. Künstlerbücher sind für Richter innerhalb seiner gesamten Kunst ein sehr geschätztes und wichtiges Medium.

Gerhard Richters Künstlerbuch "Eis" von 1981. Die Künstlerbücher nehmen im OEuvre von Richter eine besondere Rolle ein.
Sie geben Einblicke in den Schaffensprozess seiner Arbeiten und spiegeln parallel die Diversität und die Genese des Gesamtwerkes.

 

 

Mit welchem Werk oder mit welcher Arbeit einer Werkserie Richters Richters würden Sie gern Ihren Alltag teilen, wenn Sie frei wählen könnten?

Das ist für mich nur sehr schwer zu beantworten, da es so viele großartige Werke von Gerhard Richter gibt. Doch besonders begehrenswert sind für mich zum Beispiel zwei ganz unterschiedliche Bilder: der Offsetdruck „1260 Farben“ von 1974, der in einer strengen Rasterstruktur 1260 Farbkästchen zeigt, deren Anordnung hinsichtlich der Farben zufällig und somit bewusst chaotisch erscheint, und dann die kleinformatige Gemäldeedition „Fuji“ von 1996, bei welcher der Künstler jeweils die vier Ölfarben mit einer Rakel, also mit einer schmalen Leiste, auf die glatte Oberfläche einer Kunststoffplatte aufgetragen hat, sodass eine unglaublich sinnliche, subtile und komplexe Farbstruktur entstanden ist, die in dieser Feinheit auf einer Leinwand nicht möglich wäre.

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