Schwarz-Weiß in der Kunst – alles andere als farblos

Schwarz-Weiß in der Kunst – alles andere als farblos

27.05.21
Kunsthaus ARTES
Kunstwerke Ratgeber

Gelegentlich werden Schwarz und Weiß als "Nicht-Farben" oder "Unfarben" bezeichnet – völlig zu Unrecht, denn in der Kunst stehen sie ihren bunten Pendants in nichts nach. Mehr noch, nur der Kombination aus Schwarz und Weiß ist eine Atmosphäre vorbehalten, die aus dem radikalen Kontrast zwischen beiden entsteht.

Künstler vieler Epochen schätzten dieses Spannungsverhältnis und stellten sich der Herausforderung, ohne Farben der bunten Konkurrenz entgegenzutreten: Von Altmeistern wie Albrecht Dürer oder Rembrandt über Impressionisten wie Paul Cézanne und Camille Pissarro bis hin zu Alberto Giacometti und Pablo Picasso im 20. Jahrhundert und Zeitgenossen wie Gerhard Richter und Olafur Eliasson.

Bei den Techniken und Materialien bietet sich eine vielfältige Palette an – von Graphit, Kohle, Tusche oder Bleistift auf Papier, Öl oder anderen Farben auf Leinwand, Lithographie oder Radierung. Mit „Grisaille“ kennt die Kunstwissenschaft sogar ein eigenes Genre der Malerei, das sich ausschließlich auf eine Darstellung in Grau, Weiß und Schwarz beschränkt.

"Schwarz-Weiß ist die Wahrheit"

Schwarz-Weiß hatte in der Kunst immer Konjunktur, aber die Künstler hatten durchaus sehr unterschiedliche Motivationen für die Reduzierung ihrer Farbpalette auf Grauwerte. Viele Künstler betonen bei Schwarz-Weiß-Darstellungen vor allem das Essenzielle, Ehrliche und Direkte, "Schwarz-Weiß ist die Wahrheit" bringt es zum Beispiel der US- amerikanische Künstler Robert Longo auf den Punkt.

Ähnlich sieht es Gerhard Richter, der Parallelen zur Schwarz-Weiß-Fotografie sieht und daraus einen objektiven und dokumentarischen Charakter dieser Malweise herleitet. Die Abkehr von den Farben ermöglicht den Künstlern zudem neue Ansätze bei der Bildgestaltung, denn wenn die Effekte der Farben nicht mehr ablenken können, gewinnen Formen und Strukturen wie auch Materialien und Motive deutlich an Relevanz.

Max Pechsteins prächtiger Holzschnitt "Der Abend" von 1919 zeigt die expressiven Möglichkeiten in der Reduktion auf Schwarz und Weiß.
Holzschnitt, 1919. Auflage: 75 Exemplare auf Bütten, nummeriert, handsigniert und datiert. 
 

Die Verbannung der Farben von der Leinwand

Neben den künstlerischen Aspekten führten in der Geschichte verschiedene äußere Umstände zur Verbannung der Farben von den Leinwänden. So verschwanden unter dem Einfluss der Kirchen bunte Farben aus der Kunst in den sakralen Räumen, da die Farblosigkeit sinnbildlich für Buße und Trauer stand. In Klöstern wurde auf Farben verzichtet, um den Mönchen die Sinnlichkeit auszutreiben, und in den Kirchen sollte das Farbverbot vor allem in der Fastenzeit beim Kirchenvolk die Konzentration auf das Wesentliche fördern und jegliche Ablenkung beim Beten verhindern. Aber auch der Wettbewerb, vor allem mit dem ewigen Konkurrenten Bildhauerei, spornte die Maler zum Arbeiten in Schwarz-Weiß an. Die räumliche Darstellung wurde soweit perfektioniert, dass sie eine echte Dreidimensionalität vermuten ließ und damit der Skulptur sehr nahe kam. Dies sollte die Überlegenheit der Malerei gegenüber der Skulptur untermauern.

Aber nicht nur die Künstler müssen sich durch die Verbannung der Farbe auf eine veränderte Gestaltungssituation einstellen. Auch für die Betrachter, die eine bunte Welt gewohnt sind, bedeutet dies eine ungewohnte und komplexe Rezeptionserfahrung, die dazu zwingt, bekannte Wahrnehmungsmuster zu überdenken. Aber genau hier liegt auch der Reiz der Malerei ohne die vermeintlich echten Farben.