
Christo & Jeanne Claude: 30 Jahre Reichstagsverhüllung
Fast 23 Jahre hatten die Objektkünstler Christo und Jeanne Claude die Idee „Wrapped Reichstag, project for Berlin“ verfolgt, bis es endlich soweit war: Im Juni 1995 sorgt die Verhüllung des Reichstages nicht nur für das erste Berliner Sommermärchen sondern auch international für Beachtung.
Im Juni 2025 jährt sich die Verhüllung zum 30-mal. Zu diesem Anlass wird der Reichstag ab Pfingstmontag, den 9. Juni für zwölf Nächte mit einer Lichtinstallation in Szene gesetzt.
Jeweils von 21:30 bis 1 Uhr nachts soll die gesamte Westfassade des Reichstagsgebäudes in ein silbrig leuchtendes Gewand gehüllt werden.

Mit knapper Mehrheit zum Erfolg
Die Verhüllung des Reichstagsgebäudes durch Christo und Jeanne-Claude war eines ihrer ambitioniertesten Projekte. Die Idee entstand bereits in den 1970er Jahren, doch die Umsetzung erforderte eine langwierige Planung und zahlreiche Genehmigungsverfahren. Christo war bekannt für seine groß angelegten Kunstwerke, bei denen er Gebäude, Landschaften oder Objekte mit Stoff verhüllte, um sie in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.
Die größte Herausforderung bei diesem beeindruckenden Projekt lag nicht in der technischen Umsetzung, sondern vielmehr darin, die Gegner zu überzeugen und die erforderlichen Genehmigungen zu erhalten. Zwischen 1992 und 1994 führte das Künstlerpaar Gespräche mit rund 400 Abgeordneten, um sie für seine Idee zu begeistern. Das Vorhaben stieß auf unterschiedliche Meinungen innerhalb des Bundestages und sorgte für kontroverse Diskussionen. Während Bundeskanzler Helmut Kohl zu den entschiedensten Gegnern zählte, gehörte die Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth zu den frühen Unterstützern des Projekts.
Die finale Entscheidung fiel denkbar knapp aus: mit 292 gegen 223 Stimmen bewilligte am 25. Februar 1994 der Bundestag die Verhüllung des Reichstagsgebäudes.

Die Umsetzung
Nachdem die Genemigung zur Verhüllung erteilt war, gingen Christo und Jeanne-Claude unmittelbar an die Arbeit.
Zahlreiche Beteiligte waren involviert, neben dem Künstlerpaar selbst ein Team von Helfern sowie Ingenieure, Architekten und Behörden und Genehmigungsstellen, die die Umsetzung ermöglichten.
Für die Verhüllung wurde ein spezielles, robustes Stoffmaterial verwendet, das den historischen Charakter des Gebäudes betonte und gleichzeitig die gewünschte visuelle Wirkung erzielte. Der Stoff war in einem silbrigen Grau gehalten und wurde sorgfältig um das Gebäude gespannt, um die Konturen und architektonischen Details hervorzuheben.
100.000 m² Polypropylen-Gewebe, 15.600 Meter blaues Polypropylen-Seil und 200 Tonnen Stahl für die Unterkonstruktion wurden benötigt. Christo und Jeanne-Claude verzichteten bewusst auf den Einsatz von Kränen; stattdessen wurden 80 Kletterer für die Anbringung des Materials angeworben
Ein Berliner Sommer im Jahr 1995
Im Juni 1995 war es dann soweit: Als die Verhüllung final dem Publikum präsentiert wurde, war von der zuvor geäußerten Kritik nichts mehr zu hören.
Stattdessen herrschte vor dem Reichstag eine besondere Atmosphäre: Die Stimmung war geprägt von Aufregung, Stolz und einer gewissen Ehrfurcht vor dem historischen Bau.
Tausende von Menschen versammelten sich, um das Kunstwerk zu bewundern. Je nach Tageszeit und Lichteinfall änderte sich die Farbe der Verhüllung, der sich im Wind bewegende Stoff machte auf bisher unbeachtete Details des Gebäudes aufmerksam.
Der Reichstag mit seiner langen und schweren Geschichte wurde durch die Kunst symbolisch von seinen dunklen Kapiteln gereinigt. Im In- und Ausland wurde die Verhüllung als symbolische Geste für die Wiedervereinigung und die neu gewonnene Demokratie wargenommen, als starkes Symbol für eine offene, kreative und demokratische Gesellschaft Deutschlands.

Rezeption
Die Verhüllung trug dazu bei, das Bild Deutschlands im Ausland als innovatives, offenes Land zu stärken, das bereit ist, seine Vergangenheit zu reflektieren und gleichzeitig nach vorne zu schauen.
Geäußerte Bedenken hinsichtlich der Kosten erwisen sich als unbegründet: Die Gesamtkosten von15 Millionen Dollar brachte das Künstlerpaar, wie für all seine Projekte, selbst auf, um unabhängig künstlerisch arbeiten zu können.
Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude realisierte in den folgenden Jahren weitere beeindruckende Projekte. Zu den bekanntesten Werken gehören die "Floating Piers" auf dem Iseosee in Italien, die "The Gates" in New York City, die "Wrapped Coast" in Australien sowie die "Surrounded Islands" in Miami.
Jeanne-Claude verstarb im Jahr 2009 in New York, ihr Mann Christo vollendete bis zu seinem Tod 2020 im Alter von 84 Jahren weitere Projekte. Ihre gemeinsame Vision, Kunst als flüchtiges, aber bedeutendes Erlebnis zu schaffen, hat die zeitgenössische Kunst maßgeblich beeinflusst und bleibt auch nach dem Tod des Paares unvergessen.
Editionen von Christo und Jeanne-Claude
Christo und Jeanne-Claude finanzierten ihre Projekte hauptsächlich durch den Verkauf von Skizzen, Collagen und Modellen ihrer Kunstwerke.
Diese Editionen geben uns einen direkten Einblick in die kreative Arbeitsweise des Künstlerpaares und dokumentieren die Entstehung der berühmten Installationen. Sie sind hochgeschätzte Sammlerstücke, die ein Stück der temporären Kunstprojekte bewahren.
Der Jahrestag der Verhüllung bei ARTES Berlin
Unsere Galerie ARTES Berlin wird im September den Jahrestag der Verhüllung mit einer Ausstellung zelebrieren.
Im Zuge dessen werden wir Arbeiten von Christo und Jeanne-Claude neben Werken von Marion Eichmann, die sich mit dem Reichstag befassen, präsentieren.
Informationen zu diesem Event erfahren Sie rechtzeitig über unseren → Newsletter.
