Armin Mueller-Stahl: Sich finden im Gegenüber

Armin Mueller-Stahl: Sich finden im Gegenüber

07.05.24
Kunsthaus ARTES
Kunstwerke ARTES Weekly Künstler

Wir kennen Armin Mueller-Stahl als vielseitigen Künstler in Schauspiel, Musik und Malerei sowie als scharfsinnigen gesellschaftlichen Beobachter. Er habe diese Verantwortung des Künstlers stets angenommen, stellte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unlängst in einer Rede über den ihn fest.

Mueller-Stahl selbst beschrieb das einmal so: "Lieber einen Knick in der Karriere als im Rückgrat".

Als er 1976 den offenen Brief gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterschrieben hat, bedeutete es das Ende seiner Karriere in der damaligen DDR.

Seine Kunst, sein Können, seinen Erfolg hat sich Mueller-Stahl allerdings nicht nehmen lassen, sondern einfach mitgenommen: 1980 nach Westdeutschland, später ins wiedervereinigte Deutschland, dann in die USA nach Hollywood und in die ganze Welt. Armin Mueller-Stahl bewegt sich zwischen den Ländern genauso wie zwischen den künstlerischen Metiers, die er allesamt meisterhaft beherrscht.

 

Der Brückenbauer

Seinen Beruf hat der Künstler einmal selbst als "Brückenbauer" bezeichnet – ein außergewöhnlicher künstlerischer Ansatz, der Verbindungen schafft und Grenzen überwindet. Diese weltmännische Attitüde macht auch Mueller-Stahls Malerei national und international zu großer Kunst, die bleibt.

Im Wechselspiel zwischen individuellen Erfahrungen und dem Interesse am Gegenüber entstehen die berührenden Menschenbilder Armin Mueller-Stahls – ganz im Sinne eines Gedankens von Wilhelm von Humboldt, nach dem "Des Menschen Wesen [es ist], sich zu erkennen in einem andern". Aus der Begabung heraus, sich in verschiedene Lebensgeschichten und Charaktere einzufühlen, schafft der Künstler eine authentische und tiefgründige, dabei sehr persönliche Malerei, die in der jüngeren Kunstgeschichte ihresgleichen sucht.

 

Armin Mueller-Stahl: "Buddenbrooks" (2008)
Armin Mueller-Stahl: "Buddenbrooks" (2008)


Buddenbrooks und andere "Notizen der Gefühle"

Inspiriert von seiner Arbeit an Filmen wie "Utz" (1992) und der Verfilmung des literarischen Klassikers "Buddenbrooks" (2008), entstanden ganze grafische und malerische Zyklen, die seine Eindrücke und Erfahrungen des Charakterstudiums und der Dreharbeiten einfingen. So schuf Mueller-Stahl geradezu ein Gesamtkunstwerk. 

Diese "Notizen der Gefühle" dienen zugleich als Zeugnis eines intensiven Ausgleichs zu seiner schauspielerischen Tätigkeit, aber auch als künstlerische Dokumentation eines Arbeits- und Schaffensprozesses.

Das Gemälde "Buddenbrooks" stammt aus ebendieser sorgfältigen und umfassenden Beschäftigung mit dem Jahrhundertroman von Thomas Mann und der intensiven Arbeit, welche die Darstellung des Patriarchen der Lübecker Kaufmannsfamilie erforderte. Wie bei den von ihm bemalten Drehbuchseiten fügt sich auch hier der expressive Pinselstrich mit einer abstrakt reduzierten Farblandschaft und schnellen Charakterskizzen zu einer komplexen Szenendarstellung zusammen. 

 

Der Mensch im Fokus

In den Werken von Mueller-Stahl findet sich eine hohe Affinität zum Zeichnen und Malen der subtilen Nuancen menschlicher Gesichter und der in ihnen verborgenen Wesenszüge. "Hier wird das schauspielerische Talent des Künstlers konkret sichtbar, Charaktere zu ergründen, sich in sie hineinzuversetzen, und zugleich auch Situationen atmosphärisch zu erfassen und diese mit malerischen Mitteln zu übertragen", so Lucie Klysch, Kuratorin der Galerie ARTES Berlin. "Die Aufmerksamkeit und das ehrliche Interesse am inneren Wesen eines Gegenübers - das ist es, was Mueller-Stahl auch als Maler auszeichnet. Seine Kunst vermittelt eine Botschaft der Empathie und des Verständnisses, die dazu anregt, eigene Befangenheiten zu überwinden."

Von Öl- und Acrylfarben bis hin zu Kohle und Bleistift - jeder Pinselstrich, jede Linie ist wohlüberlegt und dabei auch beispielhaft für eine praktische Erinnerungsarbeit: für den Dialog des Künstlers mit sich selbst in einer anderen Zeit und Rolle, quasi mit seinem Ich als Gegenüber. Mit der Vielschichtigkeit seiner künstlerischen Ausdrucksweisen stellt Armin Mueller-Stahl eine Ausnahmeerscheinung in der Kunst des 20. und frühen 21. Jahrhunderts dar. "Es ist diese einzigartige Fähigkeit, Schönheit und Tiefe miteinander zu verbinden, die uns dazu veranlasst hat, einen umfangreichen Querschnitt seiner Arbeiten zu zeigen", unterstreicht Lucie Klysch.

 

ARTES Berlin zeigt Armin Mueller-Stahl

Die Galerie ARTES Berlin zeigt im Mai 2024 in einer breit angelegten Ausstellung mehr als 50 Werke des Künstlers.

Die Bilder der Ausstellung wurden gemeinsam mit Armin Mueller-Stahl und dem Verleger Frank-Thomas Gaulin ausgewählt, der den Künstler seit vielen Jahrzehnten begleitet. "Wir sind besonders stolz, Armin Mueller-Stahls jüngsten Werkzyklus "Jüdische Schicksale, Freunde und Weggefährten" in dieser Form erstmals in einer Galerieausstellung vorzustellen", so Klysch.

Zu sehen sind eine Vielzahl von Persönlichkeiten aus der jüdischen Gemeinschaft, darunter prominente Figuren aus Kunst, Kultur, Politik und Wissenschaft, wie Walter Benjamin, Franz Kafka, Hannah Ahrendt oder Billy Wilder. Jedes Porträt erzählt eine Geschichte, vom Überleben und vom Widerstand, von kultureller Vielfalt und intellektueller Brillanz, von persönlicher Freundschaft und Verbundenheit, von einem Gegenüber, in dem wir uns jederzeit suchen und wiederfinden können. 

Zur Ausstellung Armin Mueller-Stahl bei ARTES Berlin

Weitere Werke von Armin Mueller-Stahl

 

Armin Mueller-Stahl, ein Weltstar mit vielfältigen Talenten, beginnt im Alter von 60 Jahren eine Hollywood- Karriere und tritt mit 70 Jahren als bildender Künstler in die Öffentlichkeit.

Er wird am 17. Dezember 1930 als drittes von fünf Kindern in Tilsit/ Ostpreußen geboren. Seine Mutter ist Ärztin und sein Vater Bankkaufmann. Nach dem Abitur studiert Armin Mueller-Stahl Musikwissenschaften in Berlin und strebt eine Karriere als Konzertgeiger an. Nach Abschluss seines Studiums entscheidet er sich jedoch für die Schauspielerei. Und obwohl er zunächst von der Staatlichen Schauspielschule Berlin aufgrund "fehlender Begabung" abgelehnt wird, erhält er 1952 sein erstes festes Engagement am Berliner Theater.

In der DDR spielt er ab 1956 in zahlreichen Filmen, übernimmt im Laufe der Zeit etwa 60 Hauptrollen und erhält zahlreiche Preise. 1976 unterzeichnet er einen offenen Brief gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Trotz seiner Erfolge erreichen ihn in der Folge kaum noch Rollenangebote. In dieser Zeit schreibt er sein erstes Buch mit dem Titel "Verordneter Sonntag".

1980 zieht er mit seiner zweiten Frau und seinem Sohn nach West-Berlin und später nach Schleswig-Holstein. Er knüpft an seine Schauspielerfolge in der DDR an und spielt sowohl im Theater als auch in Film und Fernsehen. 1985 lehnt er die Rolle des Chefarztes in der Fernsehserie "Die Schwarzwaldklinik" ab und erobert stattdessen Hollywood mit Filmen wie "Avalon" und "Night on Earth". 1997 wird er für seine Rolle in "Shine" für den Oscar nominiert.

In Deutschland brilliert er unter anderem als Thomas Mann in dem Fernseh-Dreiteiler "Die Manns - Ein Jahrhundertroman". Neben seiner Schauspielkarriere widmet er sich auch dem Malen und Schreiben.

Seine erste Ausstellung als Maler findet jedoch erst anlässlich seines 70. Geburtstags statt. Seit 1985 lebt er größtenteils in Sierksdorf an der Lübecker Bucht. Die übrige Zeit verbringt er in Pacific Palisades bei Los Angeles oder in Berlin-Köpenick. 2008 erhält er das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland. Er ist außerdem der fünfte Ehrenbürger Schleswig- Holsteins.