Zwischen Trend und Museum – ein Gespräch über Street Art

Zwischen Trend und Museum – ein Gespräch über Street Art

27.05.21
Kunsthaus ARTES
Interviews Ratgeber

Die Aufregung war groß, als sich bei einer Auktion im Oktober 2018 eine Leinwand von Banksy kurz nach der Versteigerung selbst zerstörte. Kürzlich wurde „Love is in the Bin“ im Museum Frieder Burda erstmals ausgestellt. Der Kunsthistoriker und Street Art-Experte Dr. Ulrich Blanché beriet das Museum bei der Präsentation und beantwortete ARTES Fragen zum Phänomen Street Art und ihrem langfristigen Wert.

 

ARTES: Was ist Street Art oder Urban Art überhaupt?
Dr. Ulrich Blanché: In der Kunstwissenschaft unterscheidet man zwischen Street Art, Graffiti und Urban Art. Im Allgemeinen werden alle Begriffe aber in einen Topf geworfen. Kurz gesagt, ist Street Art die illegale Version, die einem auf der Straße begegnet und Urban Art die legale Form dieser Kunst, also, wenn die Künstler mit Street Credibility auf Leinwand arbeiten oder andere mobile Bildträger verwenden, die dann später in Galerien und Museen zu finden sind. Urban Art wird aber auch als Stilbegriff verwendet für Kunst, in der Schablonen und andere Techniken der Street Art vorkommen.

Muss also die Street Credibility gegeben sein, um als Künstler der Street Art bzw. Urban Art zugeordnet werden zu können, oder geht es letztlich um stilistische Fragen?
Die Mehrzahl der Künstler, die heute am Kunstmarkt in diesem Bereich erfolgreich sind, gerade im hochpreisigen Segment, hat in der Vergangenheit illegal auf der Straße gesprayt und ist dadurch bekannt geworden. Ich habe aber das Gefühl, dass der Trend in die Richtung geht, dass Sammlern einfach die Optik dieser Kunst gefällt. Ich sage dazu gerne „Street flavoured Art“, also Kunst mit Street Art-Geschmack.

Bei einer Auktion geschreddert, im Museum Frieder Burda vom 5.2.-3.3.2019 erstmals ausgestellt und nun als Dauerleihgabe in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen: Banksy, Love is in the Bin, 2018, Sprayfarbe und Acryl auf Leinwand, 142 × 78 × 18 cm, Privatsammlung, Foto: Sothebys © Banksy 

 

Street Art: Die neue Zeitgenössische Kunst

Banksys Werke kommentieren oft das Zeitgeschehen. Was sagt uns die Schredder-Aktion bei einer Auktion über sein Verhältnis zum Kunstmarkt?
Also, es ist ein komplexes Verhältnis. Banksys Preise steigen konstant und hätte er das Werk nicht geschreddert, hätte die Schlagzeile „Auktionsrekord für Banksy“ gelautet. Das geht bei der medialen Aufmerksamkeit für die spektakuläre Aktion etwas unter, wahrscheinlich zur Freude des Künstlers. Auch das Verhältnis zu den Sammlern ist äußerst komplex. Wir haben es bei Banksy mit einem weltberühmten Künstler zu tun, der im Moment nicht offiziell von einer Galerie vertreten wird, das unterscheidet ihn von vielen anderen. Er schafft schon auch Werke für Sammler, Siebdrucke usw. Allerdings hat er einen sehr egalitären Anspruch, sodass sein letzter Siebdruck zum Beispiel per Lotterie für 500 Pfund versteigert wurde. Natürlich fand man schon am Folgetag Blätter für fünfstellige Beträge im Handel. Mittlerweile ist es aber sehr schwer, Banksys von Banksy zu kaufen. In den letzten Jahren sind nicht so viele Multiples des Künstlers erschienen.

Wie sehr lässt sich die Bezeichnung „Street Art“ tatsächlich noch auf einen Großteil der Werke anwenden? Oder anders gefragt, ab wann wäre es Zeit, schlicht von zeitgenössischer Kunst zu sprechen und die Abgrenzung zwischen Street und High End Art aufzulösen?
Das Branding als „Urban Art“ stammt aus dem Kunstmarkt. Ab 2008 wurden Werke der Street bzw. Urban Art erstmals in Auktionen so bezeichnet. Inzwischen laufen sie durchaus auch unter Contemporary Art. Man muss das auch so sehen, dass das Labels sind. Nicht alles, was Andy Warhol gemacht hat, ist Pop Art, und nicht alles, was Banksy macht, ist Street Art.

Wandbild von CREN beim Berlin Mural Fest 2019

 

Über den Kunstmarkt ins Museum

Seit den 2000er-Jahren ist eine Renaissance der Street Art am Kunstmarkt spürbar. Wie hat sich der Blickwinkel der Galeristen und des Publikums auf diese Kunstform verändert?
Da hat sich schon was geändert. Wenn wir uns die Top 20 der höchsten Auktionsergebnisse im Bereich der zeitgenössischen Kunst anschauen, taucht da ganz oben Jean-Michel Basquiat auf – jemand der einen Street Art-Hintergrund hat und auch immer unter dem Label „hat mit Graffiti zu tun“ geführt wird. Dasselbe gilt für Keith Haring, Barbara Kruger, Jenny Holzer und andere Künstler. Die Wissenschaft sieht diese Künstler als Proto-Street Artists an, weil sie nicht Teil der Graffiti-Szene waren. Künstler aus der Szene wie Dondi White oder Futura 2000 erzielen langsam auch höhere Preise, aber nicht die Preise der Proto-Street Art-Protagonisten. Was die Institutionalisierung der Street Art betrifft, hat das ja teilweise schon in den 1970er-Jahren begonnen. Doch fehlte den Kunstwerken im Museum ausgestellt oft der atemlose Kontext, die Anbringung auf der Straße, auf den U-Bahn-Waggons, und das hat nicht so gut funktioniert. Wir haben jetzt den Trend, dass wir sozusagen zwei große Gruppen haben. Eine ist die der Proto-Street-Art-Künstler wie Basquiat und Haring aus der Mitte der 1970er- bis Ende der 80er-Jahre, und auf der anderen Seite gibt es eben Street Art von Künstlern wie Banksy, Invader, Shepard Fairey und Swoon etc. Und wir haben jetzt den Fall, dass innerhalb von Auktionen zeitgenössischer Kunst die Street Art-Künstler, die gar nicht mehr unbedingt als solche gelabelt werden, mengenmäßig am meisten Kunstwerke verkaufen. Shepard Fairey steht da zum Beispiel in den letzten beiden Jahren an erster Stelle, was die verkauften Lose in Auktionen von Contemporary Art betrifft. Überhaupt sind in den Top 5 dieses Rankings ausschließlich Künstler mit Street Art-Kontext zu finden. Daran kann man natürlich ablesen, dass es da eine neue Entwicklung gibt, dass vor allem jüngere Käufer, denen kleinere Budgets zur Verfügung stehen, eher Street Art kaufen. Wenn diesen Kunstsammlern in zehn Jahren mehr Geld zur Verfügung steht, kaufen sie dann vielleicht immer noch dieselben Künstler, aber zu wesentlich höheren Preisen.

Wie sehen Sie denn langfristig die Rezeption von Street Art? Können diese Arbeiten auch gelöst von ihrem Kontext zur Straße, also im Museum, bestehen?
Viele der Street Art-Arbeiten sind ja tatsächlich nicht fürs Museum und gar nicht für das kontemplative Betrachten gemacht, vielmehr wollen sie schnell eine Botschaft rüberbringen und leben von dem flüchtigen Blick auf sie, den man im Vorbeigehen hat. Wenn man als Museum aber den Kontext zu dem Werk erklärt und nachvollziehbar macht, funktioniert Street Art auch im Museum. Man kann schon sagen, dass der Trend der Street Art in Richtung Museum geht. Banksys „Love is in the Bin“ ist da natürlich das derzeit bekannteste Beispiel. Es gibt auch immer mehr Museen, die Ausstellungen zu dem Thema machen. Vor kurzem nahm das British Museum eine gefälschte Zehn-Pfund-Note von Banksy als erstes Werk des Künstlers in seine Sammlung auf. Und dies ist tatsächlich etwas Neues, dass Museen Street Art für ihre ständigen Sammlungen erwerben.

Ulrich Blanché (Dr. phil.), ist Habilitand der Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg. Er publizierte "Street Artivist Banksy" (2010) und "Konsumkunst. Kultur & Kommerz bei Banksy & Damien Hirst" (2012, engl. Übers. in zwei Bänden 2016/2018). Seine Forschungsschwerpunkte sind Street Art, Graffiti, Konsum, britische Nachkriegskunst, insbesondere Francis Bacon und Damien Hirst sowie "Affen im Bild seit 1860".