Performance: Kunst mit Körpereinsatz

Performance: Kunst mit Körpereinsatz

07.05.22
Kunsthaus ARTES
Kunstwerke Kunstgeschichte Künstler

Lebendiger könnte Kunst kaum sein: In einer Performance werden Situationen geschaffen, in denen Menschen zum künstlerischen Medium werden. Die Performances können aus Bewegungen, Sprache, kleinen Szenen oder auch nur Gestik und Mimik bestehen. Dabei ist eine Interaktion mit dem Publikum durchaus möglich, wenn nicht sogar erwünscht. Durch die unmittelbare Begegnung mit den Menschen können Emotionen und audiovisuelle Eindrücke besonders intensiv transportiert werden. Künstler, Publikum, Schaffensprozess und Werk sind nicht wie bei Malerei und Bildhauerei räumlich und zeitlich voneinander getrennt, sondern existieren parallel zeitgleich an demselben Ort. Dies bedeutet aber auch, dass Performances absolut einmalig sind und niemals wieder in der gleichen Form reproduziert werden können.

Denn anders als beim Theater gibt es in den Performances keine Choreografie oder Skripte. Sie sind meist nicht zu Ende durchgeplant und manchmal in ihrem Verlauf sogar völlig frei improvisiert. Gerade dann, wenn das Publikum einbezogen wird, lässt sich das Geschehen nur bedingt kalkulieren. 

Seinen Ursprung hat die Performance in den ersten Aktionen von Futuristen, Dadaisten und Surrealisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die begonnen hatten, den Prozess der Schöpfung ihrer Werke in das künstlerische Konzept einzubeziehen. Happening und Fluxus entwickelten solche Ideen weiter, bis sich die Performance als eigenständige Kunstform ab den 1970er-Jahren etablieren konnte. Auch im 21. Jahrhundert ist immer noch ein wachsendes Interesse an den künstlerischen Aufführungen zu beobachten und Museen und Kunstmessen arbeiten vermehrt mit Performerinnen und Performern zusammen. 

 

Performance bietet Raum für Reflexion, Kritik und Erfahrungen

Eine Performance ist nie pure Unterhaltung. Sie trägt immer eine Botschaft in sich, die mal mehr, mal weniger offensichtlich zutage tritt. Wie kaum ein anderes Kunstgenre vermag die Performance auf mehreren Ebenen Inhalte und Fragestellungen zu vermitteln. Zunächst hinterfragt das gesamte Konzept den Kunstbetrieb und seine Mechanismen an sich: Weil Performances weder mit den klassischen bildenden Künsten noch mit Musik oder Theater vergleichbar sind, stellen sie grundsätzlich zur Diskussion, was wir als Kunst definieren wollen. Außerdem müssen für diese künstlerischen Darbietungen andere Formen der Präsentation, Bewertung und Verwertung gefunden werden.

Eng damit verbunden ist die Kritik an einer fortschreitenden Kommerzialisierung der Künste. Da sich eine Performance aufgrund ihrer typischen Eigenschaften nur schwer verkaufen oder dauerhaft ausstellen lässt, ist hier (oft zum Leidwesen der Künstlerinnen und Künstler) der ökonomische Aspekt weitaus geringer. Sind deshalb Malerei und Bildhauerei mehr wert?

Neben solchen allgemeinen Themen verfolgen Performance-Künstlerinnen und -Künstler mit ihren Arbeiten viele weitere, sehr unterschiedliche Intentionen. Manche zielen darauf ab, das Publikum mit ungewohnten, manchmal extremen Situationen zu konfrontieren, um bestimmte Reaktionen hervorzurufen. Sie möchten damit das menschliche Handeln, Routinen und Gewohnheiten hinterfragen und zum Nachdenken über ein bestimmtes Verhalten anregen. Besonders unbewusste oder unbequeme Affekte wie Voyeurismus oder Gewalttätigkeit lassen sich mit Performances besser als mit jeder anderen Kunstform vor Augen führen. 

Vielen Künstlerinnen und Künstlern geht es neben der Reaktion der Beobachtenden aber auch um die eigene Erfahrung, die sie in ihren Performances machen. Sie verarbeiten persönliche Geschichten oder Traumata und gehen dabei nicht selten an ihre körperlichen Grenzen. Marina Abramović beschrieb die Erlebnisse in ihren extremen Projekten mit den Worten: „Schmerz in der Kunst ist für mich eine Tür zu einer höheren Bewusstseinsebene. Es ist eine Art Erleuchtung, es setzt Energien frei.“

Über die persönliche Erfahrung von Performern und Publikum hinaus können in einer Performance die unterschiedlichsten Inhalte thematisiert werden. In der Regel sind dies aktuelle und kontroverse Themen aus Politik, Geschichte oder Gesellschaft, zum Beispiel Kapitalismuskritik, Medienkritik, Feminismus oder Rassismus.

 

Gespräche, Gesten und Gewalt: Die Vielfalt der Performance-Kunst

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Performance-Szene kontinuierlich gewachsen und hat eine große inhaltliche sowie darstellerische Vielfalt entwickelt. Die Palette der Darbietungsformen reicht von skurril über verstörend bis humorvoll. Manche Performances erlangten sogar Berühmtheit auch über die Kunstwelt hinaus. Als legendär gilt zum Beispiel die Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ von Joseph Beuys aus dem Jahr 1965. Dabei ließ er sich vom Publikum beobachten, wie er, den Kopf und das Gesicht mit Blattgold und Honig bedeckt, eine Stunde lang einem toten Hasen auf seinem Arm die Bilder in einer Ausstellung erklärt.

Auch Marina Abramović schuf Performances, die viel Aufsehen erregten. Bei „The Artist Is Present“ saß sie im New Yorker MoMA über drei Monate hinweg acht Stunden lang ununterbrochen auf einem Stuhl und blickte nur die Besucher an, die sich ihr gegenüber hinsetzten.

Auf eine andere Weise extrem war „Sky Kiss“ der US-Künstlerin Charlotte Moorman. Sie ließ sich 1982 im Rahmen der Linzer Ars Electronica von Ballons viele Meter in die Luft heben und spielte dabei Cello. Aber es geht noch weitaus drastischer: Ron Athey schob sich Nadeln in die Kopfhaut, Wolfgang Flatz schlug seinen Kopf gegen eine Metallplatte und Chris Burden ließ sich in einer Galerie in den Arm schießen.

Doch bei Performances müssen nicht immer die Grenzen des für Künstler und Publikum Ertragbaren ausgelotet werden. Simon Pfeffel zum Beispiel legte sich lediglich auf den Fußweg und unterhielt sich liegend mit vorbeigehenden Passanten. Ob spektakulär oder eher dezent – den Künstlerinnen und Künstlern geht es nie um die reine Provokation oder den Schockmoment, vielmehr steckt hinter den Performances immer eine relevante Fragestellung.

 

Wie lässt sich eine Performance vermarkten?

Für die Malerei und die Bildhauerei, aber auch für Musik und Theater haben sich über die Jahrhunderte verschiedene Formen der Präsentation und der Vermarktung etabliert. Aufgrund seiner besonderen Merkmale stehen der Performance diese traditionellen Kanäle gar nicht oder nur bedingt zur Verfügung: Performances sind als Live-Events in der Regel einmalig, sie sind meist an einen Ort gebunden und die Interaktion mit dem Publikum wird oftmals zum entscheidenden Faktor. Vor allem aber werden im Zuge des künstlerischen Prozesses keine materiellen Werke produziert, die sich verkaufen oder reproduzieren ließen.

Angesichts dieser Tatsachen haben Künstlerinnen und Künstler, aber auch Galerien und Museen verschiedene alternative Strategien entwickelt, um Performances stärker in den Kunstbetrieb zu integrieren. So werden seit einigen Jahren auf großen Kunstmessen vermehrt Performances inszeniert, zum Beispiel bei der Art Basel 2014, bei der in 14 Räumen Live-Acts aufgeführt wurden.

Auch in Museen werden immer häufiger ältere Performancearbeiten als Wiederaufführungen gezeigt. Allerdings sind diese „Reenactments“ in der Kunstszene nicht unumstritten und werden von manchen Performern strikt abgelehnt. Sie plädieren dafür, dass in einer Performance die Kunst nur für den Moment existieren dürfe. Um dennoch wenigstens etwas Geld mit der Kunst zu verdienen, werden mitunter Foto- und Filmaufzeichnungen von den Veranstaltungen verkauft oder auch Gegenstände, die bei einer Aufführung verwendet wurden, zum Beispiel Skizzen, Texte oder Kostüme. Manche Künstlerinnen und Künstler gehen noch etwas weiter. So verbietet beispielsweise Tino Sehgal grundsätzlich Foto-, Film- und Tonaufzeichnungen seiner Werke, verkauft aber Lizenzen an Museen und Ausstellungshäuser, die dann berechtigt sind, seine Performances aufzuführen.

Doch trotz solcher und anderer Bemühungen bleiben die meisten Performance-Künstlerinnen und -Künstler mit ihren Einnahmen immer noch weit hinter ihren Kolleginnen und Kollegen aus Malerei und Bildhauerei zurück, deren Werke teils für Millionenbeträge verkauft werden.